Forderungen des Paritätischen LV, Brandenburg zu den Landtags- und Kommunalwahlen 2024
Am 9. Juni finden die Kommunalwahlen und am 22. September 2024 die nächsten Landtagswahlen in Brandenburg statt. Bei den landesweiten Kommunalwahlen werden 14 Kreistage sowie die Stadtverordnetenversammlungen von Potsdam, Brandenburg/Havel, Cottbus und Frankfurt (Oder) neu gewählt.
Der Paritätische hat dies zum Anlass genommen, den Fraktionsvorsitzenden und sozialpolitischen Sprecher*innen Brandenburgs die eigenen Ideen und sozialpolitischen Forderungen für die nächste Legislaturperiode zu unterbreiten, in der Hoffnung, ihnen damit wichtige Impulse für ihre Wahlprogramme zu liefern.
Fachkräfte und Personal gewinnen – soziale Infrastruktur sichern!
Soziale Arbeit muss attraktiver werden. Schon heute gefährdet der Fachkräfte- und Personalmangel die Sicherstellung der sozialen Angebote.
» Link: Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken - Institut der deutschen Wirtschaft (IW) (iwkoeln.de) Wir fordern:
Daher fordern wir:
» Schuldenfrei aus der Ausbildung in die soziale Arbeit!
Solange Azubis für ihre Ausbildung Schulden machen müssen, statt Ausbildungsvergütung zu erhalten, ist die soziale Arbeit nicht konkurrenzfähig gegenüber anderen Berufen. Daher:
- Kostenfreie, praxisnahe Ausbildung, auch bei schulischen Ausbildungen!
- Attraktive sowie existenzsichernde Ausbildungsvergütung!
» Rahmenbedingungen für Quereinstieg und Nachqualifizierung schaffen!
Aufgrund des Fachkräfte- und Personalmangels in der sozialen Arbeit setzen die Träger verstärkt auf berufliche Quereinsteiger*innen bzw. Umsteiger*innen.
Dafür braucht es:
- Ressourcen für die Anleitung der Quereinsteiger*innen beim Träger (Refinanzierung der Praxisbegleitung)!
- Finanzielle Sicherung beim Berufsumstieg in die soziale Arbeit. Jede und jeder muss es sich leisten können, Fachkraft der sozialen Arbeit zu werden!
» Gute Arbeitsbedingungen in allen Feldern der sozialen Arbeit schaffen!
Soziale Arbeit ist für viele junge Menschen grundsätzlich interessant – sie stiftet Sinn, ist abwechslungsreich und bietet eine Möglichkeit, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Aber die Arbeit ist schlecht bezahlt, und der bürokratische Anteil, wie z.B. die Dokumentation, ist enorm gestiegen, ohne dass sich dies in einem veränderten Personalschlüssel niederschlägt. Dadurch bleibt für die Fachkräfte zu wenig Zeit, sich um die ihnen anvertrauten Menschen, also um ihre eigentliche Aufgabe, zu kümmern. Brandenburg ist bundesweit Schlusslicht bei den Personalschlüsseln in der sozialen Arbeit.
Wir fordern:
» Anpassung der Zuwendungen an gemeinnützige soziale Träger, die an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes geknüpft sind, sodass diese Gehaltssteigerungen direkt und ohne Einbußen weitergereicht werden können!
» Überprüfung und Erhöhung von Mindestpersonalschlüsseln in vielen Bereichen der sozialen Arbeit, z.B. in der stationären Jugendhilfe, in der Pflege und in der Eingliederungshilfe!
» Weiterentwicklung der Finanzierungs- und Anerkennungsverordnung für Insolvenzberatungsstellen und der „Handlungsempfehlungen zur Qualität der sozialen Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung im Land Brandenburg“, um gute Arbeits- und Beratungsbedingungen für die hochspezialisierten Fachkräfte sicherzustellen! »Link: Handlungsempfehlung_Schuldnerberatung
Integration von Anfang an!
Brandenburg ist ein Zuwanderungsland. Die Integration der zugewanderten und geflüchteten Menschen ist eine gesellschaftliche Daueraufgabe, die eine entsprechende Anpassung der sozialen Infrastruktur benötigt.
Wir fordern:
» Migrations- und Flüchtlingssozialarbeit sicherstellen!
Asyl- und Migrationsfachdienste sowie Integrationsprojekte stellen eine zentrale Säule bei der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte dar. Zuwanderer*innen müssen von der Erstorientierung in Deutschland über die psychosoziale Beratung bis hin zur Sicherstellung von Wohnraum sowie der Ausbildungs- und Arbeitsplatzvermittlung beraten und begleitet werden. Wir sprechen uns für eine langfristige Sicherstellung der Brandenburger Programme aus: Integrationspauschale, MSA II und digitale Sprachmittlung.
» Soziale Infrastruktur in den Kommunen stärken!
Die Unterkünfte in den Kommunen, insbesondere aber die sozialen Infrastrukturen wie Kitas, Schulen oder das Gesundheitswesen, sind durch allgemeine Zuwanderung nach Brandenburg stark belastet. Die sozialen Systeme in den Landkreisen und kreisfreien Städten müssen sinnvoll gestärkt werden, sodass sie diese Zuwanderung konzeptionell und nachhaltig meistern können. Zuwanderung muss als Faktor bei der Sozialplanung angemessen berücksichtigt und mit ausreichenden Ressourcen untersetzt werden.
» Interkulturelle Öffnung muss regelhaft mitgedacht und finanziell berücksichtigt werden!
Alle sozialen Strukturen und Angebote müssen die Integration der zugewanderten und geflüchteten Menschen im Fokus haben. Dafür benötigen soziale Unternehmen, Vereine und Organisationen die erforderlichen Kompetenzen. Dies muss in der Ressourcenplanung berücksichtigt und personell sowie finanziell von Land und Kommunen refinanziert werden.
Demokratie in Brandenburg sichern & stärken!
Die Komplexität der gesellschaftlichen Fragen, die gefühlte Ablösung des Politikbetriebes von der Lebensrealität der Menschen und die dadurch wachsende Unübersichtlichkeit des eigenen Lebens erzeugen bei vielen Ohnmachtsgefühle, die sich in Enttäuschung, Wut und teils radikaler Abwendung von demokratischen Konventionen äußern. Gleichzeitig wird jedoch auch der Ruf nach „Gehört-werden“ und „Mitgestaltung“ lauter.
Wer Demokratie stärken will, muss allen Menschen eine echte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. So wird auch eine hohe Selbstwirksamkeit der Menschen an den politischen und gesellschaftlichen Prozessen erreicht.
Die freie gemeinnützige Wohlfahrt ist hier verlässlicher Partner. Und unser Ziel ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern eine Gesellschaft, an der alle teilhaben.
Unser Engagement ist in den Städten und Gemeinden verwurzelt. Wir kennen die sozialen Verhältnisse vor Ort. Weil wir um die Bedarfe und Bedürfnisse der Menschen wissen, können wir Hilfe zur Selbsthilfe fördern und passgenau Hilfe organisieren, wo und in welcher Form diese gebraucht wird. Wir engagieren uns sozialanwaltschaftlich auch für diejenigen, die sich selbst wenig Gehör verschaffen können.
Wir sind lebendige Zivilgesellschaft in ihrer organisierten Form und befördern den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und die demokratische Teilhabe.
Daher fordern wir:
» Gemeinnützige Träger müssen institutionalisiert, transparent, kontinuierlich und auf Augenhöhe in die Planungsprozesse einbezogen werden. Sozialplanung muss in enger Abstimmung mit der freien gemeinnützigen Wohlfahrtspflege stattfinden!
» Sozial- und Gesundheitsdienste gemeinnütziger Organisationen müssen Vorrang vor privaten, marktwirtschaftlich organisierten Unternehmen haben. Das Subsidiaritätsprinzip gilt!
Frühkindliche Bildung zuerst - für alle Kinder in unserem Land!
Jeder Mensch hat das Recht auf gleiche Chancen zur Verwirklichung seines Lebens in Würde und zur Entfaltung seiner Persönlichkeit.
Wir fordern:
» Keine Reform ist keine Lösung! Wir brauchen ein neues Kitagesetz in Brandenburg!
Eine gute frühkindliche Bildung legt die entscheidenden Grundlagen für einen erfolgreichen Bildungsweg, beeinflusst maßgeblich den weiteren Lebensweg und leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Chancengerechtigkeit. Um für alle Kinder bis zum Schuleintritt im gesamten Bundesgebiet einen gleichwertigen Zugang zu hoher Qualität in der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sicherzustellen, sind gezielte Verbesserungen der Qualität der Kindertagesbetreuung und inklusive Angebote notwendig. Die Erreichung dieses Ziels ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Kindertagesbetreuung braucht dringend ein neues Kitagesetz, das Transparenz, Rechtssicherheit und klare Regelungen bei Finanzierung und Zuständigkeiten schafft. Die Anwendung des geltenden Rechts führt täglich zu Konflikten und Rechtsstreitigkeiten zwischen Eltern, Trägern, Landkreisen und Kommunen. Die Unsicherheit, Risiken und Belastungen der Träger sind unverändert enorm hoch. Nur ein erfolgreicher Abschluss der Strukturreform kann hier Entlastung und Rechtsfrieden für alle Beteiligten im Land Brandenburg bringen.
Darüber hinaus ist nicht zu akzeptieren, dass die Kitarechtsreform, als (bisher) im Koalitionsvertrag verankertes Kernvorhaben der aktuellen Landesregierung, nach zwei Jahren intensivster Arbeit im Rahmen des Beteiligungsprozesses durch einen außerparlamentarischen Akteur gestoppt werden konnte.
Wir fordern alle demokratischen Parteien im Land Brandenburg auf, die Einführung eines neuen Kitagesetzes für Brandenburg zu erwirken! Es geht um alle Kinder in unserem Land! Wir brauchen jetzt ein gutes Brandenburgisches Kitagesetz für:
» Das Recht der Kinder auf gute Bildung und Betreuung!
» Rechts- und Finanzierungssicherheit für Eltern und die Träger!
» Klare Verantwortlichkeiten und Strukturen für die Finanzierung!
» Eine Personalbemessung (Fachkraft-Kind-Relation), die auch die langen Betreuungs-, Ausfall-, Vor- und Nachbereitungszeiten sowie die besonderen Bedarfe der Kinder berücksichtigt!
» Echte Beitragsgerechtigkeit!
» Eine verlässliche und bedarfsgerechte Ausbildung von Fachkräften!
» Link: https://www.paritaet-brb.de/aktuelles/berichte/neuigkeitendetail/kita-kollaps-verhindern-wohlfahrtsverbaende-kaempfen-mit-eltern-fuer-gute-kitas-in-brandenburg
Soziale Gerechtigkeit umsetzen!
Wir fordern die Einführung einer Bildungskarte in allen Kommunen des Landes Brandenburg. Denn Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, die ihnen gesetzlich zustehenden Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaktes zeitnah zu erhalten.
Ein niedrigschwelliger Zugang zu den Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) ist unabdingbar, damit sich alle Kinder und Jugendlichen Vereins-, Kultur-, Freizeit und Nachhilfeangebote sowie die Mittagsverpflegung in Schule oder Hort leisten können. Derzeit liegt jedoch die Bearbeitungszeit der Anträge für das BuT teilweise bei 6 bis 8 Monaten. Bei Bewilligung hat die Klassenfahrt längst stattgefunden, und das Kind konnte in dieser Zeit weder eine Mittagsversorgung in Anspruch nehmen noch an Vereins- und Freizeitaktivitäten teilnehmen.
Die Bildungskarte ist die einfache und praktische Lösung zur Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets. Sie wird in vielen Kommunen des Landes Mecklenburg-Vorpommern - u.a. in der Landeshauptstadt Rostock - erfolgreich eingesetzt: Ein bereitgestelltes Teilhabebudget ermöglicht eine geförderte Beteiligung an diversen Vereins-, Kultur-, Freizeit- und Nachhilfeangeboten sowie der Mittagsverpflegung in Schule oder Hort. Die zuständigen Ämter (Kommunen bzw. Jobcenter oder Optionskommunen) stellen Leistungsberechtigten eine
elektronische Karte zur Verfügung, die für die Zahlung der bewilligten Leistungen genutzt werden kann.
Die Einführung der Bildungskarte bedeutet für alle einen Abbau von Bürokratie: für die leistungsberechtigten Familien, die nicht für jede einzelne Leistung (Klassenfahrt, Mittagsverpflegung, Sportverein etc.) einen Antrag stellen müssen; für die Kommunen, die nicht jeden Antrag einzeln bescheiden müssen, und für die teilnehmenden Musik- und Sportvereine, Nachhilfelehrer*innen etc., die die Leistungen direkt mit den entsprechenden Ämtern abrechnen.
Wir fordern:
» Einführung der Bildungskarte: damit auch Kinder und Jugendliche aus armutsbetroffenen Haushalten an gesellschaftlichen Angeboten teilhaben können!
Pakt für Pflege stärken. Gemeinsam Verantwortung übernehmen!
Im Pflegebereich verstärken sich die Folgen des Personalmangels durch den demographischen Wandel. Den Bedarfen einer immer älter werdenden Bevölkerung kann durch Arbeitskräftegewinnung aus dem Ausland alleine nicht mehr begegnet werden. Gerade angesichts begrenzter finanzieller Mittel müssen wir bewährte Strukturen auf den Prüfstand stellen und neu denken. Der Pakt für Pflege sollte in seiner jetzigen Form, unter Einbeziehung der freien Wohlfahrtspflege, fortgeführt und zur Stärkung der pflegerischen Infrastruktur geöffnet werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass Netzwerke und Kooperationen einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der pflegerischen Infrastruktur leisten.
Wir fordern:
» Personelle und sächliche Förderung von Kooperationen und Gemeinschaftsprojekten - z.B. Pflege/Eingliederungshilfe oder Pflege/Kinder- und Jugendhilfe oder Pflege/örtliche Vereine - mit dem Ziel, Synergieeffekte zum beidseitigen Vorteil zu nutzen!
» Die Übernahme von Honorar- oder Personalkosten zur Erstellung von Konzepten der Organisationsentwicklung oder Kooperationsprojekten, da den Einrichtungen über den Pflegealltag hinaus häufig die personellen oder finanziellen Ressourcen fehlen!
» Die Unterstützung von Kommunen bei der Erstellung von generationenübergreifenden „Gesamtkonzepten“ (Bauen, Wohnen, Arbeiten, Mobilität, Kinderbetreuung, etc.) mit dem Ziel, als Kommune attraktiv für Familien und damit auch für potentielle Pflegekräfte zu sein!
» Bestehende Hürden für die Gewinnung und Bindung von Personal abbauen, z.B. durch Einrichtung und/oder Unterstützung von bedarfsorientierten Fahrdiensten für Beschäftigte zum Arbeitsort und zurück dort, wo der ÖPNV im peripheren ländlichen Raum nicht dem Bedarf entspricht!